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Body-Focused Repetitive Behaviors (BFRBs): Wenn Körperbezogene Handlungen problematisch werden

  • Autorenbild: David Beck
    David Beck
  • 27. März
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Apr.

Body-Focused Repetitive Behaviors (BFRBs) umfassen wiederholte, meist unbewusste Handlungen am eigenen Körper. Dazu zählen unter anderem Nägelkauen (Onychophagie), Skin Picking (Dermatillomanie) sowie Haare-Ausreißen (Trichotillomanie). Häufig beginnen diese Verhaltensweisen als harmlose Gewohnheiten, können sich aber im Lauf der Zeit zu zwanghaften Mustern entwickeln (Azrin & Nunn, 1973).


Die Betroffenen spüren zwar oft, dass die Handlungen ihnen schaden, können sie aber nicht willentlich stoppen. Dies führt neben körperlichen Folgen (z. B. Hautentzündungen, Haarausfall) häufig zu Schamgefühlen und Rückzug, die den Alltag stark beeinträchtigen können (Grant, Odlaug & Kim, 2012).





Drei Frauen stehen nebeneinander und umarmen sich, nur von einer sieht man das Gesicht.

Typische Erscheinungsformen und Symptome


Nägelkauen (Onychophagie)

Beim Nägelkauen werden die Fingernägel und häufig auch die Nagelhaut abgebissen. Meist geschieht das in Stresssituationen oder bei innerer Unruhe. Neben kosmetischen Beeinträchtigungen kann es zu Verletzungen im Nagelbett kommen, was sehr schmerzhaft sein kann.


Skin Picking (Dermatillomanie)

Wer unter Dermatillomanie leidet, verspürt einen starken Drang, Hautunreinheiten auszudrücken oder kleine Unebenheiten abzukratzen. Die Folge sind Entzündungen, Blutungen und Narbenbildung. Häufig entsteht ein Kreislauf aus Scham (wegen der Wunden) und weiterem Skin Picking zur Stressreduktion (Hofmann & Asmundson, 2008).


Haare-Ausreißen (Trichotillomanie)

Ob Kopfhaare, Wimpern oder Augenbrauen: Bei Trichotillomanie reißen sich Betroffene scheinbar unbewusst oder in Phasen hoher Anspannung die Haare aus. Sichtbare kahle Stellen belasten das Selbstwertgefühl, weshalb viele versuchen, die Lücken mit Mützen oder Make-up zu verdecken.


Ursachen und psychische Hintergründe


Stress und innere Anspannung

BFRBs dienen vielfach als Stressventil: Die Betroffenen spüren Anspannung, Langeweile oder Nervosität – etwa bei einer schwierigen Aufgabe oder während eines Streitgesprächs – und reagieren mit Kauen, Zupfen oder Kratzen. Der körperliche Reiz liefert kurzfristig ein Gefühl der Erleichterung (Azrin & Nunn, 1973).


Zusammenhang mit ADHS und Impulsivität

Gerade in Kombination mit ADHS zeigen sich BFRBs öfter, da die innerlich empfundene Unruhe durch äußere Reize abgefangen werden soll (Brown, 2013). Impulsivität bei ADHS fördert rasche Handlungen ohne bewusstes Abwägen: Die Finger landen blitzschnell in den Haaren oder an der Haut, bevor man es überhaupt merkt.


Emotionale Dysregulation und Komorbiditäten

Viele Betroffene berichten von begleitenden Angststörungen oder Depressionen. Die ständige innere Unzufriedenheit erhöht den Drang, einen Ausweg oder eine Art Selbstberuhigung zu finden (Grant et al., 2012). Auch Perfektionismus kann eine Rolle spielen, wenn man versucht, jede vermeintliche Unebenheit zu „beseitigen“.


Auswirkungen auf Selbstwert und Alltag


Schamgefühl und sozialer Rückzug

Wer ständig verletzte Hände, aufgekratzte Haut oder kahle Stellen durch Haarverlust vor sich sieht, empfindet oft große Peinlichkeit. Man vermeidet öffentliche Auftritte oder soziale Kontakte. Im Freundeskreis, aber auch im beruflichen Umfeld kann das zu Missverständnissen führen („Warum möchtest du keine Videokonferenzen mehr einschalten?“), was wiederum Stress und BFRBs verstärkt.


Chronische Entzündungen und Schmerzen

Gerade bei Skin Picking und Nägelkauen können aus kleinen Verletzungen schnell Infektionen entstehen (Hofmann & Asmundson, 2008). Wer nicht nur an den Nägeln kaut, sondern auch die Nagelhaut einbezieht, läuft Risiko für schmerzhafte Nagelbettentzündungen. Trichotillomanie kann zu Reizungen der Kopfhaut führen und in seltenen Fällen auch Haarfollikel dauerhaft schädigen.


Selbsthilfestrategien: Erste Schritte zur Verhaltensänderung


Ersatzhandlungen finden

Statt Nägelkauen kann man einen Stressball drücken, anstatt mit den Fingern an einer Wunde herumzuspielen, kann man eine Texturstein-Handschmeichler benutzen. Ziel ist, den Impuls in eine weniger schädliche Richtung zu leiten (Azrin & Nunn, 1973).


Stress reduzieren

Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen (z. B. kurze Atempausen, Meditation, Yoga) senken das allgemeine Erregungsniveau. Wer in Phasen hoher Anspannung seine innere Unruhe erkennt und rechtzeitig reguliert, reduziert damit auch den Drang zu BFRBs (Hofmann & Asmundson, 2008).


Tagebuch führen

Ein Verhaltensprotokoll hilft, Auslöser und Situationen für BFRBs zu identifizieren. Notieren Sie z. B. Uhrzeit, Stimmung, Ort und Ausmaß der Handlung. So erkennen Sie Muster und können gezielt Gegenmaßnahmen entwickeln.


Therapien und professionelle Hilfe


Habit Reversal Training (HRT)

Das Habit Reversal Training gilt als eine der wirksamsten Methoden bei BFRBs (Azrin & Nunn, 1973). Dabei lernen Betroffene zunächst, ihre Trigger genau zu beobachten und anschließend eine inkompatible Handlung zu entwickeln. Wer sich etwa die Nägel kauen will, setzt bewusst stattdessen die Hand flach auf den Tisch.


Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Eine kognitive Verhaltenstherapie beleuchtet mögliche Denkmuster, die BFRBs verstärken („Ich muss jede Hautunreinheit sofort entfernen!“). Gleichzeitig trainiert man Umgang mit Stress und negativen Gefühlen und lernt, Impulse früh zu erkennen, bevor sie zum automatischen Handeln werden (Brown, 2013).


Medikamente und ergänzende Ansätze

In schwerwiegenden Fällen (z. B. bei starken Depressionen oder massiven Hautverletzungen) können Medikamente in Erwägung gezogen werden, etwa SSRIs (Grant et al., 2012). ADHS-Betroffene erhalten ggf. Stimulanzien, um die Impulssteuerung zu verbessern, was sich indirekt positiv auf die BFRBs auswirken kann.


Fazit


BFRBs wie Nägelkauen, Skin Picking oder Trichotillomanie sind oft ein Versuch, innere Anspannung, Langeweile oder Stress zu regulieren. Sie gelten allerdings nicht einfach nur als „schlechte Angewohnheiten“, sondern sind tief mit unserem emotionalen und psychischen Befinden verknüpft. Wer sich darin wiedererkennt, sollte nicht zögern, konkrete Schritte zu unternehmen – von kleinen Alltagstricks bis hin zu professionellen Therapien.


Anfangs mögen die Verhaltensweisen Erleichterung verschaffen, langfristig können sie zu Schmerzen, Infektionen und starkem Selbstzweifel führen. Fundierte Methoden wie das Habit Reversal Training, kognitive Verhaltenstherapie oder ein sinnvolles Stressmanagement bieten jedoch realistische Aussicht auf Verbesserung. Letztendlich lohnt es sich, den Kreislauf zu durchbrechen, um die Hände, Haare und Haut wieder mit Stolz zu zeigen – und vor allem, um zu einem entspannten Selbstbild zurückzufinden.



Literatur


  • Azrin, N. H., & Nunn, R. G. (1973). Habit reversal: A method of eliminating nervous habits and tics. Behaviour Research and Therapy, 11(4), 619–628.

  • Brown, T. E. (2013). A New Understanding of ADHD in Children and Adults: Executive Function Impairments. New York, NY: Routledge.

  • Grant, J. E., Odlaug, B. L., & Kim, S. W. (2012). A double-blind, placebo-controlled trial of lamotrigine in the treatment of trichotillomania. Journal of Clinical Psychiatry, 73(6), 796–801.

  • Hofmann, S. G., & Asmundson, G. J. G. (Eds.). (2008). Acceptance and mindfulness-based approaches to anxiety: Conceptualization and treatment. New York, NY: Springer.

  • Rogers, J., & O’Connor, K. (2020). The nature of body-focused repetitive behaviors (BFRBs): Implications for therapeutic intervention. Cognitive and Behavioral Practice, 27(1), 65–78.

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